Autorin: Ulla Thiede
Ein halbjähriger Forschungsaufenthalt in der israelischen Wüste Negev, um mal Auslandsluft zu schnuppern, war für Nadine Töpfer der Auslöser. Die Promotion in der Tasche, wollte die Biophysikerin aus Potsdam unbedingt wieder nach Israel kommen: „Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt.“ Seit Oktober 2014 erforscht die Postdoktorandin am Weizmann Institute of Science (WIS) in Rehovot südlich von Tel Aviv den sekundären Pflanzenstoffwechsel. Töpfer betreibt computerbasierte Biologie, eine noch junge Spezialdisziplin, in der viele Veröffentlichungen aus Israel kommen.
Wie Nadine Töpfer haben es in den vergangenen 50 Jahren Tausende deutsche und israelische Wissenschaftler und Doktoranden gemacht: Sie sind für ein paar Wochen, Monate oder Jahre an eine Forschungseinrichtung des Partnerlandes gegangen, um auf ihrem Wissensgebiet neue Herangehensweisen kennenzulernen, von der Expertise der Kollegen zu lernen und einer anderen Kultur zu begegnen. Bei diesem Austausch spielte das WIS eine Vorreiterrolle, denn auf seine Einladung hin besuchte 1959 die erste Delegation deutscher Wissenschaftler Israel.
Die Besucher von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) sahen sich als Brückenbauer. Elf Jahre nach Gründung des israelischen Staates gab es dort noch erhebliche Widerstände gegen eine Kooperation mit den Deutschen, in deren Vernichtungslagern im Zweiten Weltkrieg Millionen Juden ermordet worden waren. An der Spitze der deutschen Delegation stand der Präsident der MPG, Otto Hahn. Der bereits 70-jährige Chemiker und Nobelpreisträger war für seine israelischen Gastgeber glaubwürdig, weil er sich im nationalsozialistischen Deutschland für Juden eingesetzt und damit einigen das Leben gerettet hatte.
Nachdem das Eis durch den Besuch gebrochen war, kam die Zusammenarbeit langsam in Gang: 1961 trat mit Lorenz Krüger der erste deutsche Wissenschaftler einen Forschungsaufenthalt in Israel an. Und drei Jahre später, noch vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1965, stellten die Bundesrepublik Deutschland und Israel ihre Forschungszusammenarbeit mit dem Minerva-Vertrag auf eine erste feste Grundlage. Heute unterhält die Minerva Stiftung, die eine Tochter der MPG ist, mit allen sechs Universitäten in Israel sowie dem WIS enge Verbindungen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat über die Stiftung bisher rund 282 Millionen Euro an Fördermitteln ausgegeben. Über die Jahrzehnte vereinbarte das BMBF weitere Kooperationen mit Israel: 1973 begann die Interministerielle Zusammenarbeit, an der israelische Partnerministerien beteiligt sind. Die Deutsch-Israelische Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung (GIF) nahm 1986 ihre Arbeit auf und hat seitdem 225 Millionen Euro an Fördermitteln ausgegeben. 1997 begann die Deutsch-Israelische Projektkooperation (DIP). Jüngste Säule der Wissenschaftszusammenarbeit ist der Stiftungsfonds Martin-Buber-Gesellschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem, der 2009 gegründet wurde.
Christine Stollberg ist Physikerin am WIS und damit praktisch in die Fußstapfen von Lorenz Krüger getreten, der als deutscher Pionier hier ebenfalls Physik betrieb. Stollbergs betreuender Professor in Jena hatte seit den 1990er Jahren Kontakt nach Rehovot, er wies seine Studentin auf die Forschungsmöglichkeiten dort hin. Ihre frühere Forschungsgruppe in Jena baut Spektrometer für Stollbergs Team am WIS. Für ihre Doktorarbeit versucht sie, die freien Elektronen in einem Plasma zu beschleunigen. Ihr Ziel: „Einen Wellenleiter für einen Hochintensitätslaser zu basteln.“ Vielleicht lasse sich daraus eines Tages eine Behandlungsmethode in der Krebstherapie entwickeln, erklärt sie.
Die Anfänge des WIS reichen weit in die Zeit vor der Gründung des israelischen Staates zurück. Seine Geschichte ist eng mit der Person Chaim Weizmanns verbunden, später Israels erster Staatspräsident. Als einer der führenden Kräfte der zionistischen Bewegung, selbst Chemiker von Beruf, setzte sich Weizmann für ein Forschungsinstitut im damaligen Palästina ein. Das Geld dafür kam schließlich von Israel und Rebecca Sieff, einem britischen Ehepaar. Sie tauften die Forschungseinrichtung 1934 in Erinnerung an ihren Sohn „Daniel Sieff Institute“. Weizmann wurde erster Präsident des Instituts und zu seinem 75. Geburtstag 1949 benannte man es in "Weizmann Institute" um.
Heute besteht das WIS aus fünf Fakultäten für Mathematik und Informatik, Physik, Chemie, Biochemie und Biologie, an denen 2500 Menschen arbeiten. Es gehört zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen. Aber auch die Lehre wird am WIS groß geschrieben: An der Feinberg Graduate School können die über 1000 Studierenden einen Master- oder Promotionsabschluss machen. Geforscht und gelehrt wird auf Englisch, aber, wie Nadine Töpfer berichtet, lernt sie auch Hebräisch. Der Sprachkurs wird auf dem Campus angeboten.
Den Immunologen Alexander Mildner begeistert die große räumliche Nähe auf dem 120-Hektar-Gelände in Rehovot. „Das macht die wissenschaftlichen Kooperationen so unglaublich einfach.“ Vier Jahre lang hat er am WIS einen Zelltyp der weißen Blutkörperchen untersucht, heute forscht er an der Berliner Charité, reist aber jedes Jahr für drei Monate nach Israel. Er lobt, wie am WIS das Wissen nicht nur in abteilungsinternen Vorlesungen ausgetauscht wird, sondern auch in gemeinsamen Veranstaltungen für alle Institutsangehörigen.
„Das Ganze ist größer als die Summe der Einzelteile“, erklärt Daniel Zajfman, der Präsident des WIS. Den Satz bezieht er auch auf die deutsch-israelische Zusammenarbeit. „Wissen beruht auf einem ganzen Gewebe aus Erziehung, Kultur, Glaubenssystemen und natürlich persönlichen Netzwerken und der Gemeinschaft. Selbst wenn jeder genau dasselbe Wissen an einen Tisch mitbringt, kommt in der Summe etwas Neues heraus“, meint Zajfman, der auch im Senat der MPG sitzt.
Rund 80 Forschungsprojekte finanziert die Minerva Stiftung laufend am WIS. Das sind seit Beginn der Kooperation insgesamt 2330 Projekte. Dazu kommen jährlich rund 50 Stipendien und die Finanzierung von fächerübergreifender Spitzenforschung, die sogenannten Minerva-Zentren. Sie müssen sich regelmäßig der Supervision durch ein Komitee unterziehen. Im Jahr 2015 gab es an den israelischen Universitäten rund 20 Minerva-Zentren, dazu kommen drei am WIS. Diese Wissenschaftler-Netzwerke forschen nicht nur in den Natur-, sondern auch in den Rechts- und Geisteswissenschaften.
Wer einmal nach Israel kommt, kommt immer wieder. Diese Erfahrung hat auch Kornelius Kupczik gemacht. Sein Spezialgebiet ist die evolutionäre Anthropologie. Seit 2007 hat der Forscher von der Universität Leipzig Kontakte zu den Fachkollegen in Rehovot. Als Kreuzungspunkt der Zivilisationen, wo sich nach neuesten Erkenntnissen auch schon der Neandertaler und der Homo Sapiens vor 55.000 Jahren begegnet sein dürften, findet Kupczik die Fossilien und Artefakte für seine Forschung. 2014 hat Kupczik das „Max Planck Weizmann Center for Integrative Archaeology and Anthropology“ mit aufgebaut, das ein Standbein in Leipzig und eins in Rehovot hat. In Israel arbeiten die Experten für die Altersbestimmung mittels Radiokarbonmethode. „Warum fehlen so vielen Menschen die Weisheitszähne?“, ist eine der Fragen, die Kupczik sich stellt. Die Lösung dieses Rätsels lässt sich vielleicht in Israel finden.
Das Weizmann Institute of Science und die Kooperation mit Deutschland

Die erfolgreiche deutsch-israelische Wissenschaftszusammenarbeit ist ohne das Weizmann Institut of Science in Rehovot nicht denkbar. 1959 lud es die erste Delegation deutscher Wissenschaftler nach Israel ein. Der Besuch war ein Meilenstein und half bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen beider Länder, die 2015 ein halbes Jahrhundert bestehen. Eine der tragenden Säulen der Kooperation ist die Minerva Stiftung, eine Tochter der Max-Planck-Gesellschaft.