„Das Startup der Startup-Nation“ – Die Hebräische Universität in Jerusalem und die Zusammenarbeit mit Deutschland

Der Grundstein für die Hebräische Universität in Jerusalem (HUJI) wurde bereits 1918 gelegt, drei Jahrzehnte vor der Gründung des Staates Israel. Heute studieren an den sieben Fakultäten rund 23.000 Studenten. Die Hochschule ist international stark vernetzt. Ihr wichtigster Kooperationspartner in Europa ist Deutschland. Viele Förderprogramme für deutsche und israelische Wissenschaftler finanziert das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Von Ulla Thiede

Ist eine Gurke rot? Oder ist sie grün? Wie reagieren Menschen, denen man sagt, sie ist rot?  Was wie ein dadaistischer Verblüffungsversuch daherkommt, ist für Rebecca Weil eine hochernste Angelegenheit: Die promovierte Sozialpsychologin ist 2012 von Deutschland an die Hebräische Universität in Jerusalem (HUJI) gewechselt, um zu erforschen, wie wir Falschinformationen verarbeiten. Finanziert wird Weils mehrjähriger Aufenthalt vom Stiftungsfonds Martin-Buber-Gesellschaft. Das Geld kommt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Der Fonds trägt den  Namen des großen jüdischen Religionsphilosophen, der 1918 zu den Gründervätern der Universität gehörte.

Deutschland und Israel feiern 2015 die Aufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen vor 50 Jahren und erinnern dabei auch an die fruchtbare wissenschaftliche Zusammenarbeit. Von großer symbolischer Bedeutung war in dieser Hinsicht 1959 der Besuch der ersten deutschen Wissenschaftlerdelegation unter Leitung Otto Hahns, des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, in Israel. Die Besucher folgten einer Einladung des Weizmann-Instituts in Rehovot und machten auch einen Abstecher zur Jerusalemer Universität. Niemand konnte sich damals vorstellen, wie intensiv die Kontakte einmal werden würden. Heute ist Deutschland für die HUJI der wichtigste Kooperationspartner in Europa.

Wenn Israel heute als Land der Startups gefeiert wird, dann, so Menahem Ben Sasson, ist die Hebräische Universität „das Startup der Startup-Nation. Denn sie war ein Baustein auf dem Weg zur Gründung des israelischen Staates 1948.“ Ben-Sasson ist der Präsident der HUJI, die im Februar 2015 das erste gemeinsame Promotionsprogramm zwischen einer deutschen und einer israelischen Universität geschlossen hat. Die Partnerhochschule ist die Freie Universität Berlin. Doktoranden in diesem Programm haben zwei betreuende Professoren, und den Doktortitel verleihen die Hochschulen gemeinsam. Die Studenten können in jeder Fachrichtung promovieren.

Von Ben-Sassons Büro auf dem Skopusberg blickt man auf das Universitätsgelände, das in seiner Großzügigkeit an den Campus einer amerikanischen Universität erinnert. Zur Stadtseite hin schauen Besucher auf das Häusermeer Jerusalems, aber nach Osten verliert sich der Blick in der Judäischen Wüste. Hier wurde 1918 der Grundstein für die erste jüdische Universität überhaupt gelegt, wie es der Zionistische Weltkongress 1913 beschlossen hatte. 1925 fand die offizielle Eröffnung im Beisein von Vertretern der britischen Mandatsmacht in Palästina statt. Zwei Jahre zuvor hatte schon der junge Nobelpreisträger Albert Einstein die erste wissenschaftliche Vorlesung gehalten.

Was mit den Fächern Mikrobiologie, Chemie und Jüdische Studien begann, ist heute auf sieben Fakultäten, 14 Fachbereiche und rund 90 Forschungsinstitute angewachsen. 23.000 Studenten verteilen sich auf insgesamt vier Standorte: drei in Jerusalem und einer in Rehovot. Die HUJI hat auch ein eigenes Unternehmen, Yissum, das die Erfindungen ihrer Forscher als Patente anmeldet und Produkte entwickelt. Aus dem Verkauf fließen Yissum jährlich zwei Milliarden US-Dollar (1,9 Mrd. Euro) zu. 

Die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel war zunächst auf die Naturwissenschaften beschränkt, weil sie als neutrales Terrain galten. Themen wie der Holocaust und die deutsche Verantwortung waren noch nicht Gegenstand der gemeinsamen wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Das wurde in den 1970er Jahren anders, wie der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn erklärt. Dank des wachsenden Vertrauens zwischen beiden Ländern wurden auch andere Fachgebiete einbezogen. Als die Minerva-Stiftung, eine Tochter der Max-Planck-Gesellschaft, 1980 in Israel das erste Minerva-Zentrum eröffnete, tat sie dies an der Jerusalemer Universität. Es ist das „Richard Koebner Minerva Center for German History“, das seit 1986 von Moshe Zimmermann geleitet wird. Es erforscht die deutsche und die deutsch-jüdische Geschichte.

Ein verbindendes Element in der Forschungszusammenarbeit ist, dass unter der ersten Wissenschaftlergeneration an der HUJI die Hälfte in Deutschland ausgebildet worden war, wie etwa Martin Buber und der Historiker Richard Koebner. Die einen kamen als überzeugte Zionisten nach Palästina, andere flohen vor der Verfolgung durch die deutschen Nationalsozialisten und fanden auf dem Skopusberg eine neue Arbeitsstätte. „Es gibt den Witz, dass die Hebräische Universität die jüngste deutsche Hochschule ist“, sagt Ruth Fine. Die Romanistin leitet das DAAD-Zentrum für Deutschlandstudien an der HUJI. Die Hochschulstruktur mit dem Fächerkanon und die herausragende Rolle der Forschung seien Teil der deutschen Tradition, erklärt Fine.

Was deutsche Juden zu dieser Tradition in Kultur und Literatur beigetragen haben, untersuchen die Wissenschaftler am Franz Rosenzweig Minerva Forschungszentrum, das 1990 an der HUJI hinzukam. Die Historikerin Yfaat Weiss, die das Zentrum leitet, berichtet von zahlreichen Projekten mit deutschen Kollegen: „Wir interessieren uns aus unterschiedlichen Gründen für dasselbe Thema.“ Als Beispiel nennt sie die Migration von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und die Frage der auf ethnischen Kriterien basierten Staatsbürgerschaft, die die Bundesrepublik bis vor kurzem hatte und Israel nach wie vor hat.

Der Stiftungsfonds Martin-Buber-Gesellschaft an der HUJI ist das jüngste Förderprogramm in Kooperation mit Israel, das vom BMBF finanziert wird, und existiert seit 2009. Das Stiftungskapital beträgt 20 Millionen Euro, das jährliche Budget liegt bei einer Million Euro. Die Sozialpsychologin  Weil ist eine von zehn Stipendiaten – fünf aus Deutschland, fünf aus Israel -, die jährlich neu in das Programm aufgenommen werden. „Die Buber Society ist etwas ganz Besonderes, weil sie mir ermöglicht, über mehrere Jahre Forschung zu betreiben. Die Voraussetzungen sind großartig“, sagt sie.

Wie die Wissenschaftler in den Minerva-Zentren arbeiten auch die Buber-„Fellows“ interdisziplinär: „Dabei muss man viel grundlegender erklären, was man macht, warum das relevant ist und warum das für irgendjemanden anders überhaupt eine Rolle spielt“, sagt Weil. Sie sieht das als „Riesenvorteil, weil wir so angehalten werden, über den eigenen Forschungsgegenstand hinauszudenken.“
Orit Gazit ist Soziologin und hat in ihrer Doktorarbeit das Schicksal der Maroniten untersucht, die im Jahr 2000 aus dem Südlibanon nach Israel flüchteten. Jetzt erforscht die Israelin Einbürgerungstests für Immigranten in der westlichen Welt. „Das Buber-Stipendium erlaubt mir, in neue theoretische und philosophische Richtungen zu denken“, sagt Gazit. So hat sie den Essay „Der Fremde“ des deutschen Soziologen Georg Simmel für sich entdeckt und darüber auf einem Workshop referiert. 

Der regelmäßige wissenschaftliche Austausch fördert das Gemeinschaftsgefühl unter den Buber-„Fellows“. Gazit hat die Begegnung mit den deutschen Kollegen Lust gemacht, selbst einmal in Deutschland zu forschen. „Alle Reisen haben eine heimliche Bestimmung, die der Reisende nicht ahnt“, hat Martin Buber geschrieben. Für die jungen Forscherinnen hat die Reise gerade erst begonnen.