Eine Handvoll Scherben und der Blick ins Elektronenmikroskop – An der Universität Tel Aviv reichen die Kooperationsfelder mit deutschen Partnern von der biblischen Archäologie bis zur Nanotechnologie.

Sourasky Library - © Michal Roche-Ben Ami

Die TAU ist Israels größte Universität. Für gemeinsame Forschungsvorhaben mit Deutschland gibt es viele Gründe: Die Wiener Library enthält eine der umfassendsten Dokumentationen zum Holocaust, am Stephen-Roth-Institut wird der Antisemitismus der Gegenwart erforscht, und Wissenschaftler in der theoretischen Physik wenden sich an das Forschungszentrum Jülich, um ihre Modelle an den dortigen Supermikroskopen zu überprüfen.

Autorin: Ulla Thiede

Die Liebe zur Archäologie hat Lisa Yehuda bereits in der Kindheit entdeckt. Im Haus der Großeltern in Thüringen grub sie als junges Mädchen immer wieder im riesigen Innenhof. Dabei fand sie nicht nur jede Menge zerbrochenen Hausrat aus mehreren Jahrhunderten, sondern auch Grammophonplatten und eine Bronzegürtelschnalle aus der Biedermeierzeit. Heute ist die Archäologin Expertin für Keramik aus der Kreuzfahrerzeit. In der Ausgrabungsstätte Apollonia zwischen Herzlia und Caesarea an der israelischen Küste ist sie an einem deutsch-israelischen Projekt beteiligt. Es ist eine Kooperation der Universität Tel Aviv (TAU), und dort speziell des Instituts für Archäologie, mit mehreren Mittelalterarchäologen aus Deutschland. Unterstützt wird es von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die TAU ist mit 30 000 Studenten an neun Fakultäten und 130 Forschungsinstituten die größte der sechs Universitäten in Israel. Ihre Forschungsaktivitäten und Patentanmeldungen machen sie zu einer international führenden Hochschule. 1956 gegründet, ist sie eng in die Wissenschaftszusammenarbeit mit Deutschland eingebunden, die Ende der 50er Jahre begann -  noch bevor beide Länder 1965 diplomatische Beziehungen aufnahmen. Die Minerva Stiftung, eine Tochter der Max-Planck-Gesellschaft, finanziert an der TAU vier Minerva-Zentren. Bereits seit 1980 unterstützt die Stiftung das Minerva-Institut für Deutsche Geschichte, an das die Wiener Library mit ihrer umfangreichen Sammlung von Originaldokumenten zum Holocaust angeschlossen ist. Auch aus dem Programm der Deutsch-Israelischen Projektkooperation (DIP) fließen Gelder. Im Jahr 2015 werden drei DIP-Forschungsvorhaben an der TAU finanziert.

„Die biblische Archäologie wäre ohne das Sonia und Marco Nadler Institut für Archäologie gar nicht zu denken“, sagt Lisa Yehuda. Sie erklärt damit auch das starke Interesse deutscher Wissenschaftler an der Kooperation im Heiligen Land. Im Fall von Apollonia stellten die deutschen Partner den Forschungsantrag an die DFG, in anderen Programmen wie dem DIP muss die Initiative von den Israelis ausgehen, so sehen es die Förderregeln vor. Kontinuierlich graben die Archäologen in Apollonia bereits seit den 1950er Jahren, wie Yehuda erzählt, „trotzdem sind  noch nicht einmal fünf Prozent der Stadt freigelegt“. Für das laufende DFG-Projekt, das in seinem dritten Jahr ist, hat Yehuda das Konzept entworfen und die Universitäten zusammengebracht. „Wir erforschen Struktur und Kulturadaptionen der mittelalterlichen Stadt, sowie ihre Beziehungen zum Umland.“

Mit dem Minerva-Vertrag 1964 stellten Deutschland und Israel ihre Wissenschaftskooperation auf eine erste feste Grundlage. Finanziert werden die diversen Förderprogramme seitdem vor allem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), ergänzt durch israelische Ko-Finanzierung.
„Die Wiener Library hat eine regelmäßige Zusammenarbeit mit deutschen Forschern, die auch an unseren internationalen Konferenzen teilnehmen“, erklärt ihr Akademischer Direktor Roni Stauber. Neben der Minerva-Stiftung erhält die Dokumentationsstätte, die 1980 von London dauerhaft nach Tel Aviv kam, Unterstützung von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die gezielt bestimmte Projekte fördert. Dieses Jahr unterstützt die FES eine Konferenz zum Thema „Aussöhnung zwischen Gruppen und Völkern durch Aufarbeitung der Vergangenheit“.

Die Wiener Library ist einzigartig, weil ihr Gründer Alfred Wiener, ein deutscher liberaler Jude, bereits zwischen den beiden Weltkriegen begonnen hatte, den Aufstieg der deutschen Nationalsozialisten und den wachsenden Antisemitismus zu dokumentieren. 1933 ging Wiener in die Niederlande und 1939 nach London. „Die Leute verstanden nicht, was der Holocaust war, was da in Deutschland und in den von Hitler eroberten Gebieten vor sich ging“, erklärt Stauber. Wiener versorgte die Regierungen in Washington und London mit umfassenden Informationen über die Gräueltaten der Nazis, damit sie sie stoppten. „Nach dem Krieg verwendete die Anklage bei den Nürnberger Prozessen die Dokumente Wieners, um die Hauptverantwortlichen der Verbrechen überführen zu können“, sagt Stauber.

Enge Verbindung zu deutschen Forschern unterhält auch Scott Ury, der das Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism leitet. Einen regelmäßigen Austausch von Studenten und Wissenschaftlern gibt es mit dem „Zentrum für Antisemitismusforschung“ an der Technischen Hochschule Berlin. Das Stephen-Roth-Institut erhält wesentliche Unterstützung vom Ernst-und-Marianne-Pieper-Fonds, der von einer Unternehmerfamilie aus Hannover gegründet wurde. Außerdem finanziert die Rosa-Luxemburg-Stiftung Stipendien und einige Forschungsprojekte, „die wir sonst nicht durchführen könnten“, erklärt Ury. „Wir haben hier Juristen, Literaturwissenschaftler, Historiker und Judaistikforscher. Wer sich mit etwas aus unserem Forschungsgebiet befasst, den unterstützen wir gern mit einem Stipendium und stellen ihm alles zur Verfügung, um Spitzenleistungen zu erbringen. Wir sehen uns als Inkubator“, sagt Ury.

Vor allem den Naturwissenschaften verschrieben hat sich die Deutsch-Israelische Projektkooperation. Seit 1997 sind über dieses Förderinstrument rund 90 Millionen Euro in deutsch-israelische Forschungsvorhaben geflossen. Vier Projekte wählt ein Gremium jährlich aus, die jeweils für fünf Jahre mit maximal 1,655 Millionen Euro jährlich gefördert werden.

An einem der DIP-Projekte ist Rafal Dunin-Borkowski beteiligt. Er leitet das Ernst Ruska-Centrum  (ER-C) am Forschungszentrum Jülich. Mit Elektronenmikroskopen von einigen Metern Länge erhalten dort Wissenschaftler Einblicke in die Welt der Atome. Dunin-Borkowski schildert, wie international vernetzt die Elektronenmikroskopie ist. „Fast jeder kennt jeden.“ Spitzenforscher aus aller Welt kommen an das ER-C, um die Höchstleistungsmikroskope zu nutzen, allein die Qualität der Arbeit entscheidet, wer experimentieren darf. Die Zusammenarbeit mit den Israelis sei komplementär: „Die Forscher an der TAU sind extrem stark in theoretischer Physik“, sagt Dunin-Borkowski. „Für sie sind wir ein logischer Partner.“ Es geht um die „Erzeugung und Manipulation von Elektronenwellen durch Nanohologramme und deren Anwendung.“ Es ist Grundlagenforschung, die aber irgendwann etwa die Computertechnik oder Energiegewinnung vorantreiben könnte.

Die Wissenschaftlerin Neta Erez startete erst vor drei Jahren ihr erstes bilaterales Projekt. Die Biologin leitet eines von 400 Laboratorien an der TAU. Unterstützung erhält Erez vom israelischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MOST) sowie dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, wo sie eine deutsche Ko-Forscherin hat. Beide untersuchen die Entwicklung von Metastasen bei Hautkrebs, die typischerweise im Gehirn entstehen und beim Patienten oft innerhalb eines Jahres zum Tod führen. „Wir beobachten Interaktionen zwischen den Tumorzellen und Astrozyten im Gehirn, die von den Tumorzellen gekapert oder umprogrammiert werden." Erez meint, dass Krebs wohl nicht heilbar sein werde. „Aber wir müssen die physiologischen Mechanismen verstehen, die zu Metastasen führen, und versuchen, wie wir diese dann blocken können.“

Archäologie sei „Sisyphusarbeit“, sagt Lisa Yehuda. Der Satz lässt sich auf jede Forschung anwenden. Yehuda zeigt eine Handvoll Keramikscherben, die sie gerade ausgegraben hat. In Apollonia hat sie schon welche aus dem Boden geholt, die aus dem gesamten Mittelmeerraum stammten. 1000 Kilometer Nord-Süd-Ausdehnung und 2000 Kilometer von Ost nach West, stellt sie fest. „Das ist schon phantastisch.“