Originaltext (2016): Ulla Thiede | danach aktualisiert
Wayne Kaplan zeigt auf den Fensterrahmen seines Büros am Technion. „Sehen Sie, der Rahmen ist aus Metall. Das besteht aus Milliarden kleiner Kristalle, und ihre Größe und Form sowie die Korngrenzen bestimmen die Materialeigenschaften.“ Kaplans Disziplin ist die Materialwissenschaft und Werkstofftechnik. Als Grundlagenforscher will er herausfinden, wie Kristalle wachsen: „Wir kennen das Warum: Hitze lässt sie wachsen, die größeren Kristalle verschlucken die kleineren. Wenn wir wüssten, wie sie das machen, könnten wir bessere Materialien entwickeln.“ Sein Partner ist Michael Hoffmann vom Institut für Angewandte Materialien am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Gefördert wird ihr Projekt seit Januar 2015 von der Deutsch-Israelischen Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung (GIF).
„Wenn die Chemie zwischen Forschern stimmt, dann macht die Wissenschaft wirklich einen Sprung nach vorn“, erklärt Kaplan. Der Vizepräsident des Technion, der für die Forschung zuständig ist, spricht aus Erfahrung. Schon als Doktorand Anfang der 1990er Jahre arbeitete er mit deutschen Wissenschaftlern zusammen. Kaplan war Forschungsstipendiat am Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart, einmal unterstützt von der Humboldt-Stiftung, das andere Mal von der Minerva-Stiftung. „Ich fand dort leistungsstarke Elektronenmikroskope vor, die wir damals am Technion noch nicht hatten“, erklärt Kaplan. „Die Stuttgart-Mafia“, sagt er verschmitzt, „hält bis heute zusammen.“ Erst im Mai war er zu einem Workshop in Frankreich eingeladen. Von den zwölf Teilnehmern zählten sich vier zur „Stuttgart-Mafia“. „Wir tauschen auch unsere Studenten aus.“
Als der Grundstein 1912 für das „Technikum“ gelegt wurde, hatte das „Israel Institute for Technology“ noch einen deutschen Namen. Vorbild waren die damaligen technischen Hochschulen in Deutschland. Die Gründer dachten weit voraus: Palästina war ein armes Land, ohne nennenswerte Bodenschätze, und daher waren sie überzeugt, dass sie einen künftigen jüdischen Staat nur entwickeln konnten, wenn er ausgezeichnete Ingenieure hatte und den wissenschaftlichen Nachwuchs förderte. Heute sind 13.000 Studenten am Technion eingeschrieben, das von der Architektur und Städteplanung über Luft- und Raumfahrttechnik bis zu Informatik, Medizin und Biologie das breite Spektrum der naturwissenschaftlich-technischen Fachrichtungen anbietet. Drei seiner Professoren sind mit einem Nobelpreis ausgezeichnet worden.
Mit der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich verbindet das Technion seit den 1980er Jahren eine enge Kooperation im Rahmen der Umbrella-Symposien. Das 33. Treffen fand 2019 in Jülich statt und stand unter dem Titel „Energy Conversion and Energy Storage“. „Die Umbrella-Konferenzen dienen dazu, gemeinsame Forschungsthemen zu identifizieren, Menschen zusammenzubringen und für ein gutes Klima zu sorgen“, erklärt Kaplan. Die Projekte sind oftmals die Vorstufe für Forschungsvorhaben, die mit EU-Mitteln gefördert werden.
Keine drei Kilometer Luftlinie vom Technion entfernt sitzt Eli Salzberger in seinem Büro in der Haifa Universität. Bücherberge bedecken den Schreibtisch des Juraprofessors, und auch der Besucherstuhl dient als Schriftenablage. Salzberger hat zwei Hüte auf: Er leitet das Haifa Center for German and European Studies (HCGES), das die Hochschule gemeinsam mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) betreibt, sowie das Minerva Center for the Rule of Law under Extreme Conditions. Auch dieses erhält deutsche Unterstützung, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung über die Minerva-Stiftung gewährt.
Der DAAD fördert noch ein zweites Deutschland- und Europazentrum in Israel, das sich an der Hebräischen Universität in Jerusalem befindet. Sie zeugen davon, dass das Interesse an Deutschland über die akademischen Zirkel hinaus in den letzten 20 Jahren stark gewachsen ist. „Die DAAD-Zentren in Israel unterscheiden sich in ihrem Konzept sehr von den Zentren etwa in Seoul oder Tokio“, erklärt Salzberger. „Wir stellen hier eine historische Verbindungslinie her: Die deutschen und europäischen Juden haben Israel sehr wesentlich zu dem gemacht, was es heute ist.“ So hofft er auch, dass die Arbeit am Zentrum zum besseren Verständnis zwischen Israel und Europa beiträgt: „Das neue Europa nach 1945 und der Staat Israel teilen dieselben Werte“ – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte.
Das HCGES bietet einen Masterabschluss an, der in ein bis zwei Jahren erworben wird, und nimmt inzwischen auch Doktoranden auf. Das Studium ist multidisziplinär: Historiker vermitteln deutsche Geschichte, Ökonomen das deutsche Wirtschaftssystem, es gibt Kurse zu Literatur und Film sowie Einführungen in das deutsche Rechtssystem, und Soziologen beleuchten ausgewählte Aspekte der deutschen Gesellschaft. Jeder Student muss zudem Deutsch-Intensivkurse belegen. Der Studiengang findet seit 2015 auf Englisch statt, bisher war die Unterrichtssprache Hebräisch.
Die Universität Haifa begann 1963 als ein Ableger der Hebräischen Universität, seit 1973 ist sie akademisch unabhängig. 18.000 Studierende verteilen sich auf die sieben Fakultäten, die auch Naturwissenschaften und Mathematik anbieten. Trotzdem versteht sie sich als Ergänzung zum Studienangebot des Technion. So können Studierende einen gemeinsamen Abschluss in Jura und Medizin erwerben, wobei entsprechend ihren Schwerpunkten die juristischen Kurse an der Universität Haifa und die medizinischen Programminhalte am Technion angeboten werden.
Beide Universitäten kooperieren ferner im Max Wertheimer Minerva Center for Cognitive Processes and Human Performance. Am Technion ist man stolz, dass man derzeit sogar vier Minerva-Zentren betreibt. Dabei handelt es sich um interdisziplinär arbeitende Exzellenzcenter, die von der deutschen Minerva-Stiftung nur so lange gefördert werden, wie sie wirklich Spitzenforschung leisten.
Eine Brücke nach Deutschland schlägt auch das Bucerius-Institut zur Erforschung zeitgenössischer deutscher Geschichte und Gesellschaft an der Universität Haifa. Es wurde 2001 von der ZEIT-Stiftung gegründet. Sein akademischer Leiter, der Historiker Amos Morris-Reich, forscht zu deutsch-jüdischer Geschichte und zur Geschichte der rassischen Fotografie. Er untersucht, wie Fotografie seit dem 19. Jahrhundert auch dazu benutzt wurde, um ‘wissenschaftliche‘ Aussagen über Rassen zu machen.
Ein anderer Schwerpunkt sind die Anfänge der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und Deutschland in den 1950er Jahren. „Diese Beziehungsgeschichte nach dem Holocaust ist lange sehr eindimensional dargestellt worden“, erklärt Morris-Reich. „Ich will diese Geschichte nicht umschreiben, aber ein paar neue Schichten hinzufügen.“ So interessieren ihn Wissenschaftler wie der Genetiker Jacob Wahrman von der Hebräischen Universität, die eine Zusammenarbeit mit Forschern aus dem Land der Täter offiziell ablehnten. Denn Morris-Reich fand heraus, dass derselbe Wahrman bereits 1950 intensiv mit deutschen Genetikern und Biologen korrespondierte.
Als Forschungseinrichtung arbeitet das Bucerius-Institut mit deutschen Universitäten und Instituten zusammen. Es vergibt Stipendien an Doktoranden, veranstaltet Workshops und lädt deutsche Politiker, Schriftsteller und Forscher zu Gastvorträgen ein. Katharina Konarek schreibt als „Visiting Research Fellow“ des Instituts ihre Doktorarbeit. Sie geht der Frage nach: Wie beeinflussen die deutschen politischen Stiftungen in Israel und den Palästinensergebieten die Nahost-Politik der Bundesrepublik? Ihr deutscher Professor ist an der Universität der Bundeswehr in München, in Haifa betreut sie die Historikerin Fania Oz-Salzberger. Konarek gefällt die israelische Mentalität: „Dass die Türen immer offen stehen, dass man sich ganz schnell duzt, auch mit den Professoren, diese große Nähe kannte ich früher nicht.“