Der Präsident und sein ältester Nachwuchsforscher

„Nachwuchsforscher“ Prof. Dr. Dirk Schwalm - © Weizmann Institute of Science

Seit 25 Jahren forschen der Deutsche Dirk Schwalm und der Israeli Daniel Zajfman gemeinsam. Die Geschichte der zwei Teilchenphysiker ist auch eine der israelisch-deutschen Annäherung.

Autorin: Laura Hennemann

„Nachwuchsforscher“ mit satten 66 Jahren – auf die Idee wäre Dirk Schwalm, seit Jahrzehnten Professor für Physik an der Universität Heidelberg, wohl nicht ohne seinen langjährigen Kollegen und Freund Daniel Zajfman gekommen. 2006 saßen sich die beiden Teilchenphysiker – ein Deutscher, ein Israeli – bei Rotwein in einem italienischen Restaurant in Heidelberg gegenüber und sprachen über die Zukunft ihrer Forschungsgruppen: „Ich soll Präsident des Weizmann-Instituts werden“, sagte Zajfman. Ein Traumjob für einen Forscher, dieses international renommierte Zentrum für Grundlagenforschung leiten zu dürfen. Dennoch sorgte Zajfman sich um die Betreuung seiner Doktoranden, wofür ihm dann wohl die Zeit fehlen dürfte. „Wie wäre es, wenn Du mich in meinem Labor vertrittst?“

Ein deutscher Physiker, der das Labor eines israelischen führt? In Rehovot? Es ist noch nicht lange her, dass eine solch vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Forschenden der zwei Länder undenkbar gewesen wäre und vor dem Hintergrund des Holocaust vielleicht sogar Empörung bei vielen Israelis hervorgerufen hätte. Nach über fünfzig Jahren politischem und wissenschaftlichem Austausch sind Kooperationen hingegen vielfache Routine. Ein Verdienst, das nicht zuletzt auf besondere Beispiele wie die Forscherfreundschaft von Schwalm und Zajfman zurückzuführen ist.

Ein Schluck aus dem Weinglas und Schwalm nahm das Angebot an. Denn Zeit genug, in Israel zu arbeiten, hatte der inzwischen emeritierte Direktor des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg und Honorarprofessor der Universität Heidelberg. Außerdem war Zajfman seinerseits eingesprungen, als seine Doktoranden bis zur Einstellung von Schwalms Nachfolger einen Betreuer brauchten.

Spaß am Forschen

Also zog Schwalm ans Weizmann-Institut – wenn auch nicht wirklich als „Nachwuchsforscher“ sondern als Gastprofessor. „Aber Daniel nennt mich gerne seinen ältesten Postdoc“, schmunzelt Schwalm. „Und er hat recht: So fühle ich mich!“ Keine Gremien, keine Berichte, keine offiziellen Verpflichtungen. „Jetzt habe ich wieder die Freiheit, mich einen ganzen Tag lang mit einem physikalischen Problem auseinanderzusetzen, am Abend den Griffel wegzulegen und zu sagen: Nein, das klappt so doch nicht.“ Das sei das Forscherleben, das ihn ursprünglich zur Physik gebracht habe. „Und ich fühle mich sauwohl dabei.“

So ähnlich fühlte sich Daniel Zajfman, als er vor 25 Jahren als junger Nachwuchsforscher aus Israel zu Schwalm nach Heidelberg kam. 1959 in Belgien geboren, war Zajfman im Alter von 20 Jahren nach Israel ausgewandert. Er studierte Physik am Technion, der Technischen Universität Israels in Haifa, und widmete seine Forschungen der Atomphysik. Das führte ihn in die USA, ans Argonne National Laboratory bei Chicago. Dorthin kam eines Tages ein Mitarbeiter Schwalms aus Heidelberg und hielt einen Vortrag über den Test Storage Ring TSR – den experimentellen Elektronenspeicherring, der wenig zuvor in Heidelberg in Betrieb gegangen war. „Dieser Physiker erzählte also über all die Projekte, die sie für den TSR geplant hatten“, so Zajfman. Es ging dabei viel um die Erforschung hochgeladener Atome. „Aber das, was ich am liebsten mit der Anlage erforscht hätte – nämlich geladene Moleküle – war nicht auf seiner Liste.“ Als Zajfman nach dem Vortrag seine Ideen ansprach, bescherte ihm das eine Einladung nach Heidelberg, ans Max-Planck-Institut für Kernphysik.

Ein Israeli im verschneiten Heidelberg

Als er dort im eisigen Dezember 1990 ankam, schneite es „wie verrückt“, erinnert sich Zajfman. Doch konnte sich Schwalm schnell für Zajfmans Ideen erwärmen, wie sich die Forschung an ionisierten Molekülen am TSR verbessern ließe. Schon im nächsten Sommer schrieben die beiden – Zajfman war inzwischen Forschungsgruppenleiter am Weizmann-Institut – einen gemeinsamen Forschungsantrag. Sie reichten ihn ein bei der Deutsch-Israelischen Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung (German Israeli Foundation, GIF) und bekamen Fördermittel für drei Jahre. „Unsere Ergebnisse waren gleich zu Anfang umwerfend“, sagt Zajfman, und 1993 erschien die erste gemeinsame wissenschaftliche Veröffentlichung: Die Untersuchung der Wiedervereinigung von positiv geladenen Wasserstoff-Deuterium-Molekülen mit je einem Elektron.

Seither ist die Bekanntschaft von Zajfman und Schwalm ein Bilderbuchbeispiel deutsch-israelischer Zusammenarbeit: Über 90 wissenschaftliche Arbeiten haben sie gemeinsam veröffentlicht, noch ein zweites Mal erhielten sie eine dreijährige Förderung von der GIF, und auch die Deutsch-Israelische Projektkooperation (DIP) finanzierte ihr Kooperationsprojekt von 1998 bis 2002. Es war eines der ersten, das eine Förderung von der erst 1996 begründeten DIP bekam.

Im Laufe ihrer langjährigen Zusammenarbeit haben Schwalm und Zajfman beispielsweise im Labor die Reaktionen von Molekülen untersucht, die sich im interstellaren Raum befinden. Hier befinden sich Teilchenwolken, die hauptsächlich aus Wasserstoffatomen und Wasserstoffmolekülen bestehen. Wie diese Moleküle entstehen und welche Kräfte sie wieder zerstören – die Faszination für diese Astrochemie hat Schwalm und Zajfman geeint. Sie haben die entsprechenden Moleküle im Labor untersucht; unter anderem mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern wie dem Heidelberger Test Storage Ring.

Wie oft Zajfman in Heidelberg war, kann der Israeli nicht mehr zählen. Und auch Schwalm pendelt regelmäßig zwischen Deutschland und Rehovot, unweit von Tel Aviv. „Als ich einwilligte, als Gastprofessor ans Weizmann-Institut zu gehen, habe ich Daniel versprochen, dass alle seine Doktoranden fertig werden.“ Das ist längst geschehen. Zajfman ist für weitere fünf Jahre zum Präsidenten gewählt worden und Schwalm lebt nun schon seit neun Jahren sowohl in Israel als auch in Deutschland. Bei jedem Besuch bleibt er zwei bis drei Wochen, um dann wieder zwei bis drei Wochen in Heidelberg zu sein.

Die langsame Geschichte der Annäherung

So reibungslos funktionierte die Zusammenarbeit zwischen israelischen und deutschen Forschern anfangs nicht. Schwalm, Jahrgang 1940, kann sich gut daran erinnern, als Ende der 1960er Jahre ein Doktorand aus Israel in seine Arbeitsgruppe nach Heidelberg kam. Die ersten Versuche der beiden Völker, nach Krieg und Holocaust wieder zusammenzufinden, waren noch keine zehn Jahre alt. Noch war ein Austausch auch auf wissenschaftlicher Ebene alles andere als üblich.

Erst sehr viel später erzählte jener Israeli Schwalm, er sei damals mit vielen Vorbehalten nach Heidelberg gereist, habe seine Umgebung, habe viele Bemerkungen auf möglichen Antisemitismus geprüft und sei bereit gewesen, jederzeit wieder abzureisen. Zum Glück gab es keine negativen Vorfälle, der junge Forscher blieb die vorgesehene Zeit. „Für uns war das ein interessanter Besuch, ein Doktorand aus einem uns ziemlich fremden Kulturkreis“, sagt Schwalm. „Der Krieg hatte in meiner frühen Kindheit stattgefunden“, so Schwalm. „Das hat es mir sehr erleichtert, da unbedarft heranzugehen. Älteren Kollegen ist das nicht so gut gelungen.“

Nicht für alle war es so leicht, sich dem jeweils anderen Land zu öffnen. „Noch in den 90er Jahren gab es manche israelische Forscher, die sich geweigert haben, Geld aus Deutschland anzunehmen“, so Schwalm, der ab 1994 Vorsitzender des Stipendien-Komitees der Minerva-Stiftung zur Förderung deutsch-israelischer Forschungsprojekte war. „Die haben dann aus Prinzip keine Anträge bei Minerva gestellt.“

Heute sieht Schwalm auf israelischer Seite überhaupt keine Vorbehalte mehr gegenüber Deutschen. „Dass ich meinen Teil hierzu beitragen konnte, da bin ich stolz drauf.“