Autor: Ralf Grötker
„Mehr als hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Fachbereichen und auf allen Ebenen kooperieren miteinander. Das heißt für mich strategische Partnerschaft.“ Susanne Zepp, Professorin für Romanische Philologie und akademische Koordinatorin der strategischen Partnerschaft zwischen der Freien Universität Berlin und der Hebrew University of Jerusalem, ist offensichtlich begeistert davon, wie sehr die Allianz der beiden Hochschulen die gesamte Institution durchdringt. „Die Partnerschaft funktioniert nicht nur auf der Ebene der Universitätsleitungen, sondern ist ein gelebtes Miteinander aller Bereiche der Universität. Auch Mitarbeiter in der Verwaltung und Wissenschaftsmanager nehmen am Austausch mit Jerusalem teil!“
Instrument der Hochschuldiplomatie
Strategische Partnerschaften sind für Universitäten ein wichtiges Instrument der Internationalisierung. Fast jede größere Hochschule unterhält ein Netzwerk meist einer Handvoll ausgewählter internationaler Partner. Vor allem im Zuge der Exzellenzinitiative ist die Institutionalisierung der Forschungsnetzwerke gezielt ausgebaut worden. Die Hebrew University pflegt bereits seit Mitte der 80er Jahre enge Beziehungen zur FU Berlin. Seit 2011 sind diese Beziehungen in eine offizielle strategische Partnerschaft überführt worden, wie sie die FU in den nachfolgenden Jahren auch mit den Universitäten Peking, British Columbia und St. Petersburg eingegangen ist.
Jülich – Aachen - Haifa
Neben der Hebrew University in Jerusalem ist auch das Technion in Haifa durch langfristige Rahmenverträge mit Partnern in Deutschland verbunden: Seit 1983 besteht zwischen dem Technion, dem Forschungszentrum Jülich und der RWTH Aachen die so genannte Umbrella Kooperation. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Kooperation war von Anfang an die jährliche Ausrichtung eines großen gemeinsamen Symposiums. Seit 2007 ist die Förderung von gemeinsamen Forschungsprojekten hinzugekommen; 2011 hat zusätzlich das erste deutsch-israelische Forschungsforum gemeinsam mit einem Umbrella-Symposium stattgefunden.
„Diese Kooperation geht weit über lediglich akademischen Austausch hinaus“, erklärt Prof. Frank Schneider, Rektoratsbeauftragter der RWTH Aachen für die Zusammenarbeit mit dem Technion. „Die herzliche Verbindung zwischen Forschern und Wissenschaftlern beider Länder ist für mich auch ein Zeichen dafür, dass zwischen Deutschland und Israel heute normale Beziehungen möglich sind, trotz der belastenden Geschichte, die auch im akademischen Bereich noch lange in die Nachkriegszeit hineingewirkt hat. Das ist sehr ermutigend!“
Für Forschungsstandorte wie Jülich und Aachen, die ihrerseits seit 2007 durch die Jülich Aachen Research Alliance verbunden sind und die beide eng mit Partnern aus der Industrie zusammenarbeiten, ist das Technion besonders interessant. „Was mich am Technion in Haifa immer besonders beeindruckt hat, war das unbedingte Bekenntnis zur Technologie – in der Einsicht gründend, dass die Probleme eines Landes nur mit Hilfe von innovativen technologischen Entwicklungen angegangen und gelöst werden können. Gleichzeitig aber betont das Technion auch immer die ethische Verantwortung, die Wissenschaftlern in einer Zeit zukommt, in der Technologien jeden Aspekt unseres Alltagslebens durchdringen“, erläutert Prof. Sebastian Schmidt, Vorstandsmitglied am Forschungszentrum Jülich.
Das Forschungszentrum Jülich mit seinen rund 4.700 Beschäftigen, die in interdisziplinären Projekten zusammenarbeiten, und der angeschlossenen internationalen Helmholtz Research School on Biophysics and Soft Matter ist seinerseits auch für das Technion eine lohnende Kooperation – ebenso wie die Universität Aachen, die gemeinsam mit Jülich die German Research School for Simulation Sciences bildet. Aus der Universität Aachen sind außerdem in den vergangenen 25 Jahren über eintausend technologieorientierte Firmen in der Region gegründet worden – mehr als die Hälfte davon direkte Spin-Offs der RWTH.
Die Umbrella-Symposien werden jährlich wechselnd an einem der drei Standorte Aachen, Jülich und Haifa veranstaltet. Das erste Symposium 1984 in Aachen hatte noch einen bunten Strauß von Themen wie “Fluids Engineering and Combustion”, „Biotechnological Treatment of Organic Wastes” oder “Medical and Biomedical Engineering” zum Gegenstand. Mit den weiteren Symposien wurden die Themen nach und nach enger definiert – immer jedoch zu Problemen von besonderem gesellschaftlichem oder wirtschaftlichem Interesse.
Zusätzlich zu den Symposien haben die Partner der Umbrella-Kooperation eine eigene Projektförderung ins Leben gerufen. An den Projekten ist neben dem Technion immer mindestens ein weiterer Partner aus Deutschland beteiligt. Die Förderung hat vor allem den Charakter einer Anschubfinanzierung: Während der Projektlaufzeit haben die teilnehmenden Wissenschaftler Gelegenheit, Vorarbeiten für spätere größere Projekte durchzuführen oder einen gemeinsamen Antrag für ein größeres Forschungsprojekt zu erarbeiten.
Das vom deutschen BMBF und vom israelischen MOST gleichzeitig geförderte Projekt “Water Quality Event Detection for Urban Water Security and Urban Water Management Based on Hydrotoxicological Investigations” (Laufzeit: 09/2013 – 08/2016) war eines der Beispiel für ein größeres Forschungsprojekt, welches durch eine Anschubfinanzierung aus der Umbrella-Förderung auf den Weg gebracht wurde. Die Ausschreibung 2016 hatte – wie die Umbrella-Konferenz selbst – das Thema „When Life Sciences and Engineering Converge“. In der Ausschreibung wurden Biochemiker, Molekularbiologen, Materialforscher und Pharmazeuten angesprochen, sich mit Vorschlägen zu bewerben. Die Förderung betrug 15.000 Dollar pro Projektpartner.
Menschenrechte unter Druck
Während die Umbrella-Partnerschaft größtenteils auf Themen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich fokussiert ist, dreht sich die strategische Partnerschaft zwischen der Freien Universität Berlin und der Hebrew University Jerusalem stark um geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsvorhaben. Das bedeutendste Projekt in diesem Feld ist das im Oktober 2014 eröffnete deutsch-israelische Doktorandenkolleg “Human Rights under Pressure”. An der von der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft geförderten Einrichtung kommen Juristen sowie Sozial- und Geisteswissenschaftler aus der ganzen Welt zusammen. „‘Unter Druck‘, das kann sowohl heißen, dass Menschenrechte verletzt werden, als auch, dass Menschenrechte als ethisches und juristisches Konstrukt sich unter gesellschaftlichem Druck weiter entwickeln“, kommentiert Prof. Klaus Hoffmann-Holland den Titel des Programms. Hoffmann-Holland ist, zusammen mit seinem israelischen Kollegen Prof Tomer Broude, Sprecher des Doktorandenkollegs. Die Forschungsthemen der Gastwissenschaftler und Doktoranden am Kolleg beschränken sich nicht auf deutsch-israelische Fragen: Es gibt auch Projekte, die sich mit Problemen in Südafrika befassen oder mit Fragen aus dem Bereich der Reproduktionsmedizin wie der Leihmutterschaft. Dennoch ist ein deutsch-israelischer Bezug klar erkennbar – mit Projekten etwa, die sich mit Herausforderungen und Chancen von Migration befassen. Auch eine kritische Perspektive bleibt hier nicht außen vor: Limor Yehuda von der Hebrew University befasst sich beispielsweise mit der Konfliktlösung zwischen Nationen und ethnischen Gruppen – und kooperiert in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch mit Menschenrechtsorganisationen.
Doppelpromotion Berlin/Jerusalem
Ein weiteres Novum, das an der Freien Universität Berlin im Rahmen der strategischen Partnerschaft geschaffen wurde, ist ein Promotionsabkommen mit der Hebrew University. Seit 2015 können Studierende der FU oder der Hebrew University an beiden Universitäten parallel promovieren. Innerhalb des föderalen deutschen Forschungssystems ist das eine Herausforderung. „In Deutschland darf jede Universität das Promotionsverfahren innerhalb gewisser Grenzen autonom regeln“, erklärt Markus Edler von der Dahlem Research School, die als Dacheinrichtung der FU für Promotionsprogramme und junge Postdoktoranden agiert. Er hat die Details des Abkommens erarbeitet. In der Praxis setzt die Universität einen Rahmen, der von den Fachbereichen oder Fakultäten dann auf unterschiedliche Weise ausgefüllt wird. Bei einem Abkommen wie jenem mit der Hebrew University stellt sich deshalb das Problem, dass die Universität zentrale Verträge abschließen muss, die Verfahrenshoheit aber bei den Fachbereichen oder Fakultäten liegt und die Universität auf die jeweils gültigen Vorschriften und Regelungen des Promotionsverfahrens Rücksicht nehmen muss.
„Mit dem gemeinsamen Promotionsprogramm knüpfen wir an eine Initiative an, die Mitte der 90er Jahre von Frankreich gestartet wurde: die sogenannte Co-Tutelle“, fährt Edler fort. „Im Co-Tutelle-Verfahren müssen aber mühsam für jede Promotion Einzelfallregelungen vereinbart werden. Für das Joint-PhD-Programm gemeinsam mit der Hebrew University wollten wir genau das vermeiden.“ Eine weitere Hürde ist, dass sich die Promotionsverfahren in Israel und Deutschland stark unterscheiden. In Israel gibt es zum Beispiel keine Disputation – keine mündliche Prüfung, in der die Leistungen des Anwärters oder der Anwärterin auf einen Doktortitel noch einmal von einem Kreis von Professoren gewürdigt werden und ohne die in Deutschland kein Doktorgrad verliehen wird. Die Lösung: Die Disputation – sowohl für israelische als auch für deutsche Promovenden – findet in Berlin statt. Um Prüfern und Doktorandinnen oder Doktoranden die Anreise zu ermöglichen, stellt das Programm eigene Mittel bereit.
Auch über das Promotionsabkommen und das Doktorandenkolleg hinaus existieren an der FU Berlin zahlreiche Initiativen im Rahmen der strategischen Partnerschaft. „Lehrprojekte; Tagungen und Workshops, Forschungsprojekte und gemeinsame Drittmitteleinwerbungen – unsere strategische Partnerschaft umfasst das ganze Spektrum akademischer Aktivitäten“, führt Koordinatorin Susanne Zepp aus. „Wir haben beispielsweise ein Projekt in der Geschichtsdidaktik, das hier in Berlin von Professor Martin Lücke geleitet wird, welches sich mit Geschichtskulturen in Israel und Deutschland befasst und in dem gemeinsame Lehr- und Lernmaterialien erarbeitet werden. Es werden gemeinsame Forschungsvorhaben in den Life Sciences durchgeführt, aber auch in der Mathematik und Physik. Es gibt eine Ringvorlesung in Jerusalem zu deutschsprachiger Literatur, gemeinsam von der FU Berlin und der Hebrew University organisiert. Die Hebrew University und die FU Berlin haben ein eigenes deutsch-israelisches Postdoc-Programm aufgelegt, das erste Programm dieser Art überhaupt. Und wir haben einen Online-Masterstudiengang, “Intellectual encounters of the Islamicate World”, bei dem Studierende aus den palästinensischen Gebieten und aus Israel gemeinsam mit Studierenden aus aller Welt lernen. Zusammenarbeit gibt es darüber hinaus auch im Bereich der Gründungsförderung und des Technologietransfers.
Warum Israel?
Bleibt die Frage: Warum hat sich die FU Berlin gerade die Hebrew Universität in Israel als die Nummer Eins ihrer strategischen Partnerschaften ausgesucht? Die Antwort darauf ist einfach. „Unsere Wissenschaftler arbeiten schon lange mit Israel, insbesondere der Hebrew Universität zusammen. Es gibt kein Institut, das nicht irgendwelche Verbindungen unterhalten würde. Nur unter solchen Voraussetzung ist die gemeinsame Betreuung beispielsweise von Doktoranden überhaupt möglich“, legt Martin Kuder, stellvertretender Leiter des Center for International Cooperation an der FU, dar. Das im Rahmen der Exzellenzinitiative gegründete Center hilft bei der Organisation und der Abwicklung von Antragstellung und Finanzierung für gemeinsame Projekte. Kuder: „Darüber hinaus zählen israelische Forschungseinrichtungen und die Hebrew University zu den besten wissenschaftlichen Einrichtungen weltweit. Deshalb haben unsere Forscher ein so großes Interesse an dieser Kooperation. Das ist nichts, was man von außen vorgeben könnte.“