Autor: Ralf Grötker, Journalistenbüro Schnittstelle
„(Re)searching the future: young academics in Israel and Germany“ – unter diesem Motto hat Ende November die Martin Buber Society of Fellows in the Humanities and Social Sciences (MBSF) zu einem öffentlichen Symposium im Liebermann-Haus, direkt neben dem Brandenburger Tor in Berlin, gebeten. Als Gäste geladen waren vor allem die Fellows selbst: deutsche und israelische Postdoktorandinnen und Postdoktoranden, die im Rahmen ihres Martin-Buber-Stipendiums bis zu vier Jahre auf dem Mount Scopus-Campus an der Hebräischen Universität Jerusalem verbringen.
Welche großen Hoffnungen, insbesondere was die Zukunft der Geistes- und Sozialwissenschaften betrifft, auf den jungen Forscherinnen und Forschern lasten, hoben in ihren Grußreden zu Beginn der Veranstaltung die Präsidenten der Humboldt Universität (HU), der Freien Universität Berlin (FU) und der Hebräischen Universität Jerusalem sowie Georg Schütte, Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), hervor. Der Präsident der Hebräischen Universität Jerusalem, Menachem Ben-Sasson, formulierte es so: „Es liegt alles in Ihren Händen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie die Bauanleitung für die Wunder schreiben, die uns in Zukunft erwarten“.
Die Geisteswissenschaften retten
Dass die Herausforderung keine geringe ist in Zeiten, in denen die Sozial- und Geisteswissenschaften vielerorts gezwungen sind, Rückzugsgefechte auszutragen, darüber waren sich die Festredner einig. In den USA werden schon seit Jahren intensive Debatten über den Nutzwert der Geisteswissenschaften und Sozialforschung geführt. Und im September 2015 hatte die Ankündigung der japanischen Universitäten international für Aufsehen gesorgt, die Geistes- und Sozialwissenschaften mehr oder weniger komplett abzuschaffen und durch praxisnähere Studien und vor allem Berufsausbildungen zu ersetzen. „In der Verantwortung unserer Stipendiaten liegt es, für die Zukunft der Geistes- und Sozialwissenschaften zu streiten“, resümierte MBSF-Direktorin Ruth HaCohen die Lage der Disziplinen. Dabei helfe auch der Aufbau von Netzwerken, wie sie die Stipendiatenprogramme ermöglichen, ergänzte HU-Präsident Olbertz, „nicht, um sich selbst in eine günstige Position zu bringen, sondern um im gegenseitigen Austausch den Habitus und die Kultur anderer Disziplinen besser zu verstehen. Nur so findet man dahin, mit Distanz auf das eigene Tun und Schaffen zu schauen. Dies wiederum ist notwendig, wenn man dessen Wert auch Außenstehenden vermitteln will.“
Forschung und Lehre vereinen
Von der Herausforderung, mit nahezu unbeschränkter akademischer Freiheit, wie sie die Postdoc-Stipendienprogramme bieten, produktiv umzugehen, handelte der Block „Opening Dialogue Lecture“. Ein Aspekt, der hier diskutiert wurde, war die Verknüpfung von wissenschaftlicher Forschung und Lehre. Erfahrungen in der Lehre zu sammeln, ist ein Muss für angehende Hochschullehrerinnen und -lehrer. Anders als die meisten an Hochschulen beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind die Stipendiaten der MBSF jedoch von der Verpflichtung zur Lehre befreit. Das kann seine guten Seiten haben. „Viele Stipendiaten, die nicht zur Durchführung von Lehrveranstaltungen verpflichtet sind, bieten von sich aus Veranstaltungen an. Die Themen dafür suchen sie sich aber selber aus. Auf diese Weise kommen Kurse zustande, die es im Pflichtangebot der Hochschule gar nicht geben würde“, berichtete Giovanni Galizia von seinen eigenen Erfahrungen am Konstanzer Zukunftskolleg, welches er als Direktor leitet.
Nicht immer jedoch geht diese Rechnung auf. Viele Hochschulen, berichteten die Postdoktorandinnen und -doktoranden, wären verpflichtet, ihren Dozenten ein Honorar anzubieten – und würden bei der Vergabe von honorierten Tätigkeiten lieber ihre eigenen Leute versorgen, als Lehrtätigkeiten an Stipendiatinnen und Stipendiaten zu vergeben, die bereits finanziell abgesichert sind. Geregelte Kooperationen zwischen Hochschulen und Stipendienprogrammen, so der Vorschlag einiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer, könnten hier Lösungen schaffen.
Generation Postdoc
Die größte Sorge der Stipendiatinnen und Stipendiaten selbst galt jedoch nicht der eigenen wissenschaftlichen Qualifikation, sondern den Karriereaussichten der Postdoc-Generation. „If I can make it here, can I make it anywhere?“ übertitelte eine Stipendiatenarbeitsgruppe den Vortrag ihrer Überlegungen. Obwohl mit den höchsten Weihen wissenschaftlicher Exzellenz ausgezeichnet, äußerten viele der Postdoktoranden große Unzufriedenheit mit der Lebens- und Karrieresituation akademischer Nachwuchskräfte. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen Anfang und Ende Dreißig böte das Stipendium kaum Möglichkeiten, eine Partnerschaft oder gar eine Familie zu unterhalten. „Welcher Partner ist schon bereit, für vier ganze Jahre mit nach Israel zu gehen, wenn er dort keine Arbeitserlaubnis erhält?“ stellte eine Teilnehmerin zur Diskussion. Schulpflichtige Kinder mit nach Israel zu nehmen sei aufgrund der Sprachbarrieren oftmals so gut wie unmöglich. Nach der Rückkehr nach Deutschland sehe es nicht unbedingt besser aus. Ex-Stipendiaten, berichtete eine andere Teilnehmerin, bezögen in Deutschland, wenn sie eine Familie gründen, so gut wie kein Elterngeld, weil sie ihren Lebensunterhalt als Stipendium und nicht als Gehalt ausbezahlt bekommen haben. Zu allem hinzu komme eine sehr mangelhafte Planbarkeit akademischer Karrieren: Die Chance auf eine Festanstellung als Hochschullehrerin oder -lehrer sei nicht sehr hoch; andere unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau gäbe es immer weniger. „Das alles betrifft sehr grundlegende Bedürfnisse, die man in unserem Alter hat“, betonte einer der Teilnehmer.
Gewiss: Für die Probleme und die Unzufriedenheit, welche die Stipendiatinnen und Stipendiaten im Verlauf der Veranstaltung recht deutlich äußerten, ist nicht der Stipendiengeber verantwortlich. An der Personalstruktur der Universitäten oder an staatlichen Hilfen für Eltern kann die MBSF wenig ändern. Gleichwohl stehen die Postdoktorandinnen und -doktoranden mit ihrer Kritik nicht allein. Das Problem der Übersättigung des akademischen Arbeitsmarktes mit exzellent ausgebildeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird sogar schon von Zeitschriften wie Nature thematisiert. In Deutschland hat der Wissenschaftsrat bereits in seinen 2014 verabschiedeten „Empfehlungen zu Karrierezielen und -wegen an Universitäten“ von den Universitäten gefordert, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern bessere Perspektiven auf eine Festanstellung in der Wissenschaft zu bieten und eine bessere Relation zwischen berufbaren Akademikerinnen und Akademikern und freien Professorenstellen anzustreben. Auch aus den „Empfehlungen zur „Situation von Postdoktorandinnen und Postdoktoranden“ der Graduierten-Akademie der Friedrich-Schiller-Universität Jena (2011) geht hervor, dass die während des Symposiums im Berliner Liebermann-Haus geäußerten Probleme durchaus die gesamte Generation heutiger Postdoktorandinnen und -doktoranden betreffen.
Ob – wie von einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorgeschlagen – der Gruppe der Fellows insgesamt besser gedient wäre, wenn anstelle der zahleichen Stipendien eine sehr viel geringere Anzahl von regulären, sozialversicherungspflichtigen (befristeten) Stellen vergeben würde, mag man bezweifeln. Völlig gebunden jedoch sind den Stipendiengebern die Hände nicht. Vor allem was die Entwicklung von Mentorenprogrammen betrifft sowie die Unterstützung von Stipendiatinnen und Stipendiaten bei der Karriereentwicklung auch außerhalb von Wissenschaft und Forschung, gibt es, so ließen jedenfalls die Berichte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vermuten, durchaus noch Spielräume.
Bei allen Problemen: Die Tatsache, dass Stipendienprogramme wie das der Martin Buber Society of Fellows in the Humanities and Social Sciences eine gezielte Förderung von Einzelpersonen darstelle und die Fördergelder somit nicht in bereits etablierten Strukturen versickerten, sei eine große Chance, betonte Giovanni Galizia vom Konstanzer Zukunftskolleg: „Der beste Weg, Kreativität zu fördern, ist, Menschen zu fördern – und diese Menschen für sich selbst entscheiden zu lassen.“