Zellen sind die kleinsten Einheiten des Lebens. Und der Kern des Lebens ist Zusammenarbeit: Milliarden von Eiweiß-, Fett- und Zucker-Molekülen greifen in Millionen perfekt abgestimmten chemischen Reaktionen Minute für Minute ineinander, um das aufrechtzuerhalten, was das Leben ausmacht. Vielleicht versteht Aaron Ciechanover deshalb so gut, warum internationale Zusammenarbeit zwischen Forschern so wichtig ist. „Kooperation macht Wissenschaft erst lebendig.“ Denn der Forscher und Nobelpreisträger von der Technion Universität in Haifa hat einen der wichtigsten Kooperationsprozesse im Leben von Zellen entschlüsselt: Wie die Zelle den Müll rausbringt.
Ciechanovers erster Kooperationspartner aus Deutschland war Dieter Wolf, heute am Institut für Biochemie der Universität Stuttgart. Das war Ende der 1970er Jahre, und Ciechanover hatte schon entdeckt (gemeinsam mit seinem Doktorvater Avraham Hershko und dem US-Forscher Irvin Rose), dass die Zelle defekte oder überflüssige Proteine markiert.
|
Ein kurzes Eiweißstück namens Ubiquitin, dass den Proteinen angehängt wird, dient ähnlich wie der „grüne Punkt“ als Signal für die Putzkolonnen der Zelle: „Das kann weg“. Derart markierte Proteine werden zerstückelt und ihre Einzelteile, die Aminosäuren, für den Aufbau neuer Eiweiße recycelt. Sowohl bei der Entstehung von Krebs und Nervenzellerkrankungen wie Alzheimer als auch beim Design neuer Arzneimittel spielt das Ubiquitin-System eine Rolle beziehungsweise muss von Forschern berücksichtigt werden, damit neue Medikamente wirken können. Denn wenn der Proteinmüll nicht aus den Zellen geschafft wird, dann häuft er sich wie zum Beispiel bei Alzheimer in den Nervenzellen an und vergiftet sie allmählich. In der Regel sterben die Zellen ab, wenn die Müllabfuhr jedoch zu viele Proteine nicht abtransportiert, die die Zellteilung fördern, dann kann auch Krebs entstehen. |
Werden neue Wirkstoffe entwickelt, müssen Pharmakologen die Arznei so bauen, dass ihr das Ubiquitin-Signal entweder angehängt werden kann oder nicht – abhängig davon, wie lange es in der Zelle bleiben und wirken soll.
Der Ubiquitin-Prozess ist für die Zelle so essentiell, dass es niemanden verwunderte, als die drei Forscher im Jahr 2004 den lange erwarteten Nobelpreis für ihre Entdeckung bekamen. Und nicht erst seitdem arbeiten viele Forschergruppen mit seinem Labor zusammen. Im Laufe der Jahre ermöglichten die Förderprogramme der Deutsch-Israelischen Projektkooperation (DIP), der German-Israeli Foundation (GIF), der Volkswagen-Stiftung, des Minerva- und des DKFZ-MOST-Programms vielfältigen Wissensaustausch zwischen Ciechanovers Labor und deutschen Forschern. „Das war immer eine große Unterstützung für unsere Arbeit.“
Wer den stolzen Israeli fragt, ob er aufgrund der deutschen Geschichte jemals Bedenken hatte, mit deutschen Forschern zusammenzuarbeiten, bekommt ein entschiedenes „Nein“ zu hören. „Wissenschaft ist Zukunft, und auch wenn die Geschichte in der Erinnerung bestehen bleibt, können wir trotzdem nach vorne gucken.“
Derzeit arbeitet Ciechanover eng mit Thomas Sommer, dem Biochemiker und Interims-Chef des Max-Delbrück-Centrums in Berlin-Buch zusammen. „Wir untersuchen in Säugetierzellen, wie fehlerhafte Proteine von den Zellen entsorgt werden“, sagt Ciechanover. „In Berlin wird der gleiche Prozess bei Hefezellen untersucht und wir können die Gemeinsamkeiten und Unterschiede studieren und daraus eine Menge lernen.“ Dazu gehört nicht nur der Austausch von Reagenzien und Zellen sondern vor allem von Studenten, die in Berlin beziehungsweise in Haifa die jeweiligen Spezialtechniken lernen können, mit denen die Forscher die Rätsel der Proteinmüllabfuhr entschlüsseln. Aber die Zusammenarbeit habe nicht nur mit dem Lernen neuer Techniken zu tun. Es gehe auch darum, einander kennenzulernen, eine andere Sprache zu sprechen, eine andere Geschichte zu verstehen, eine andere Denkweise, Musik und Kultur zu erfahren. „Das formt die Persönlichkeit und erweitert den Horizont“, sagt Ciechanover. Das sei wichtig, denn: „Forschung ist immer international, so etwas wie israelische oder deutsche Forschung gibt es nicht.“
Die „wichtigste Voraussetzung für Forschung“ sei Neugier, eine universelle menschliche Eigenschaft. „Ohne Neugier gibt es keine Innovation.“ Über deren ethische Grenzen wird in verschiedenen Ländern allerdings unterschiedlich entschieden. Ob Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen werden dürfen, ob Gene studiert werden sollen, die die Intelligenz beeinflussen, das seien nicht nur Fragen der Wissenschaft, sagt der Biochemiker. „Auf der einen Seite kann es sehr vorteilhaft sein, zum Beispiel die genetischen Ursachen von Intelligenz zu erforschen, um sie vielleicht sogar verbessern zu können.“ Andererseits sei das gesellschaftlich umstritten, denn manche Menschen haben Angst vor Diskriminierung aufgrund genetischer Unterschiede. „Es ist nicht Sache von Forschern zu entscheiden, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen eines Landes sollten über die Grenzen der Wissenschaft mitentscheiden.“
Je nach Kultur, je nach Situation eines Landes werden dann womöglich unterschiedliche Entscheidungen zum Beispiel zur Herstellung von embryonalen Stammzellen getroffen. In Israel können aus überzähligen menschlichen Embryonen aus der künstlichen Befruchtung embryonale Stammzellen gewonnen werden. Laut Embryonenschutzgesetz dürfen deutsche Forscher solche Zelllinien lediglich importieren (zum Beispiel aus Israel), nicht aber selbst herstellen. „Die Forschung in Deutschland ist mit Bürokratie überfrachtet“, sagt Ciechanover. Ein wenig mehr Flexibilität könnten die Deutschen von den Israelis durchaus lernen. Allerdings stünde seinen Landsleuten mitunter auch etwas mehr Organisation gut zu Gesicht, sagt der Nobelpreisträger. „Das richtige Maß liegt irgendwo in der Mitte.“ Lernen lasse sich das nur durch steten Austausch und Zusammenarbeit.