Deutsch-israelischer Dialog: Wie junge Medienschaffende durch das Sylke-Tempel-Fellowship neue Perspektiven auf sicherheitspolitische Fragen entwickeln.
Wie soll eine moderne Verteidigungspolitik aussehen? Welche Prinzipien sollen dabei leitend sein? Fragen der Sicherheit haben große Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Leben der Menschen – und stellen angesichts der multiplen Krisen und Konflikte zahlreiche Nationen vor Herausforderungen. Die Stiftung Deutsch-Israelisches Zukunftsforum (DIZF) hat sich deshalb des Themas „Werte in der Sicherheitspolitik“ angenommen: Mit dem Sylke-Tempel-Fellowship unterstützte sie im Jahrgang 23/24 sieben junge Medienschaffende, die dank der finanziellen Förderung unter anderem zur Theorie und Praxis feministischer Außenpolitik, zu sicherheitspolitischen Diskursen in Israel und der Rolle von Frauen im israelischen Militär recherchierten. Ihre Artikel wurden in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Internationalen Politik (IP) publiziert. Mit inhaltlichen und methodischen Workshops sowie der Abschlussveranstaltung Ende Juni 2024 in Berlin schaffte das DIZF für die Stipendiatinnen und Stipendiaten zudem Gelegenheiten zur Weiterbildung, zum gegenseitigen Austausch und für Diskussionen.
Das Sylke-Tempel-Fellowship
Im Gedenken die deutsche Politologin, Journalistin und Publizistin Dr. Sylke Tempel (1963– 2017), Nahostkorrespondentin und eine herausragende Stimme in der deutschen Außenpolitik, vergibt das DIZF seit 2019 das Sylke-Tempel-Fellowship. Das einjährige Forschungs- und Recherchestipendium rückt mit Themen wie „Chinas Einfluss auf Israel und den Nahen Osten“ oder „Das Dreiecksverhältnis Deutschland-Israel-USA“ aktuelle Entwicklungen der israelischen und deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in den Fokus. Es richtet sich an Medienschaffende beider Länder im Alter von 18 bis 45 Jahren. Kooperationspartner sind das (AJC), Women in International, Security Deutschland e.V. (WIIS.de) sowie die Zeitschrift Internationale Politik (IP).
„Insbesondere das Seminar eines Investigativjournalisten war für mich sehr spannend und informativ“, erzählt Stipendiat Marcel Laskus, Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Seine Recherche im Rahmen des Sylke-Tempel-Fellowships führte ihn in den Kibbuz Malkia nahe der Grenze zum Libanon – am 6. Oktober 2023, einen Tag vor dem terroristischen Anschlag der Hamas. „Der Angriff hat noch einmal die Relevanz des Themas Sicherheitspolitik deutlich gemacht“, sagt er. „Israel, das Landesverteidigung immer die höchste Priorität einräumt, war plötzlich verwundbar und schwer getroffen.“ In Deutschland hingegen habe der Krieg in der Ukraine dazu geführt, dass viele Menschen ihre pazifistische, abrüstungsbefürtwortende Haltung überdenken. „Mich interessiert, wie Länder und Menschen mit solchen Erschütterungen umgehen“, sagt Laskus.
Mit diesem Thema setzte sich Laskus so auch im Zuge des Sylke-Tempel-Fellowships auseinander: In seinem Artikel „Das linke Erbe Israels“ geht er der Frage nach, warum es der Arbeiterpartei Awoda nicht mehr gelingt, sich mit einer progressiven Außen- und Sicherheitspolitik in Israel zu behaupten. „Die Partei wurde vor 56 Jahren unter anderem von Golda Meir gegründet und hat das Land aufgebaut, jahrzehntelang regiert und stark geprägt“, erklärt Laskus. „Seit dem Scheitern des Oslo-Abkommens Mitte der 1990er-Jahre schreiben ihr die Menschen allerdings keine Kompetenzen mehr im Bereich der Sicherheitspolitik zu, sodass sie mittlerweile vor der Bedeutungslosigkeit steht.“ Dass die Awoda überhaupt ins Parlament einziehen konnte, verdankt sie vor allem Stammwählerinnen und -wählern, einige interviewte Laskus kurz vor dem Angriff der Hamas im Kibbuz Malkia. „Obwohl die Stellungen der Hisbollah nur wenige Kilometer von ihren Häusern entfernt sind, waren die Bewohnerinnen und Bewohner zu diesem Zeitpunkt sehr entspannt und glaubten fest an einen Frieden mit den Palästinensern – das hat mich stark beeindruckt“, sagt er. „Die Ereignisse des 7. Oktobers 2023 haben das ganze Land erschüttert, diese Menschen aber meiner Ansicht nach besonders fassungslos gemacht. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich noch oft an sie gedacht.“
Eine andere Perspektive auf Israel und dessen Fähigkeiten zur Bewältigung der Bedrohungslage hat die Stipendiatin Elianne Shewring. Die Israelin, die in Neuseeland einen Bachelorabschluss in Informatik sowie einen Master in internationaler Sicherheit an der Massey University erlangte, ist seit 2019 in Berlin zu Hause und als Forscherin für das israelische Institut für regionale Außenpolitik Mitvim tätig. Während ihres Sylke-Tempel-Fellowships beschäftigte sie sich mit feministischer Außenpolitik und deren möglichen Auswirkungen auf die Sicherheit des Landes. „Das Thema liegt mir sehr am Herzen“, erzählt sie. „Dank des Stipendiums hatte ich die Möglichkeit, mich damit umfassend auseinanderzusetzen und meine eigenen Ideen dazu zu artikulieren.“ Ein weiteres Plus des Fellowships liege im Gewinn vielfältiger Kontakte: zu anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie zu israelischen Sicherheitsexperten und Forschenden, die Shewring interviewte. „Das eröffnet mir neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Lernens.“
In ihrem Artikel „Frauen, Frieden und Sicherheit“ kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Einbeziehung von Frauen in Sicherheitsfragen und politische Entscheidungsprozesse enorme Vorteile bringen und zu robusten Lösungen für dringende Aufgaben führen würde. „Frauen tendieren dazu, die Ursachen von Konflikten zu betrachten und umfassende Aspekte wie Bildungssysteme und wirtschaftliche Bedingungen einzubeziehen“, erklärt sie. „Zudem berücksichtigen sie bei ihren Entscheidungen den menschlichen Faktor, wie Zivilangelegenheiten oder die Auswirkungen der Sicherheitspolitik auf das Familienleben, Kinder und Randgruppen.“ Shewring zeigt in ihrer Analyse, wie strukturelle und kulturelle Barrieren sowie patriarchale Werte die Entwicklung einer inklusiven Sicherheitspolitik behindern. Ihr Fazit: „Um Geschlechtergleichstellung in diesem Bereich zu erreichen, ist ein umfassender gesellschaftlicher Wandel notwendig“, erklärt sie. „Mit meiner Publikation hoffe ich, in meinem Heimatland einen entsprechenden Diskurs anzustoßen.“
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